Dorfgeschichte
Kirch-Göns
Rein geographisch gesehen, muss man Kirch-Göns der Giessener Region zurechnen, die Historie unseres Ortes ist aber ohne den Einfluss der Wetterau nicht denkbar. Die Wetterau, die vielzitierte "Kornkammer des deutschen Reiches", ist seit Menschengedenken ein fruchtbarer Landstrich und war schon früheren Jahrhunderten als Siedlungsgebiet höchst begehrt, wie diverse Ausgrabungsfunde beweisen. In Archäologenkreisen dürfte Kirch-Göns wohl nicht ganz so bekannt sein, wie andere Städte, Dörfer und Siedlungen der Umgebung. Anzunehmen ist, und Hünengräberfunde belegen das, dass sich in der hiesigen Gegen nicht nur germanische Stämme ansiedelten, sonder auch die Kelten. Unterstrichen wird dies durch eine von drei Theorien zur Deutung des Ortsnamens. Vom keltischen Wort "issa" für Wasser soll sich einer dieser Meinungen zufolge der Name "Gunissa" (Göns) ableiten lassen, zumal es in anderen Siedlungsgebieten der Kelten ähnlich klingende Ortsnamen gibt. Eine andere Deutung geht vor dem seltenen althochdeutschen Wort "Gundissa" für "Kampfwasser" aus. Damit dürfte der am Ort vorbeifließende Gönsbach gemeint sein, ein Gewässer, das in früheren Jahrhunderten wohl viel breiter gewesen ist als heute. Die Verbindung zu "Kampfwasser"" stellt sich auch leicht her, vergegenwärtigt man sich die Existenz des östlich der Gemarkung entlanglaufenden Limes. Der römische Grenzwall wurde von 250 bis ca. 450 n. Chr. als Schutz von den einfallenden Germanenvölkern von der damaligen "Besatzungsmacht" Rom angelegt. Der Limes schloss die fruchtbare Wetterau vor den eher unwirtlichen Gegenden des Nordens ab. Die Tatsache, dass die Grenzbefestigung von Pohl-Göns und Kirch-Göns aus weit ins Giessener Becken vorragt, kann man dadurch erklären, dass dieser Abschnitt eine Art "Sicherheitszone" für die im Wetterauer Hinterland liegenden größeren römischen Siedlungen diente. Also wird sich hier auch die eine oder andere kriegerische Auseinandersetzung abgespielt haben. Mögen sich die Gelehrten auch streiten über die exakte Namensgebung, anzunehmen ist, dass Kirch-Göns der Hauptort der kleinen Mark zwischen Butzbach und Großen-Linden war. Dies unterstreicht die Existenz einer "Burg", die allerdings wohl nur ein befestigtes Steinhaus war, das auf der Höhe zwischen der Taubgasse und dem Gemarkungsteil mit der charakteristischen Bezeichnung "Junkersberg" gestanden hat. Noch heute existente Flurnamen deuten auf die Burg hin, die im 12 Jahrhundert immer mehr verfiel und von ihrer Besitzerfamilien "von Göns" verlassen wurde. Der letzte Vertreter dieser Linie, Johann Ernst von Göns, starb 1587 in Kinzenbach in Wetzlar. Sein Grabstein ist dort noch auf dem Friedhof zu sehen. Kirch-Göns taucht mit seinem heutigen Namen erstmals in den sogenannten "hessischen Urkunden" aus den Jahren 1145 bis 1153 auf. Diese Tatsache nahm unsere Gemeinde 1950 zum Anlass, ihr 800jähriges Bestehen zu feiern. Der Ort selbst ist aber wohl um ein Vielfaches älter. Der Namenszusatz "Kirch" lässt vermuten, dass Kirch-Göns im frühen Mittelalter das Zentrum der vier Ortschaften Ebersgöns, Pohl-Göns, Kirch-Göns und Lang-Göns gewesen ist. Dort, wo der Gebietsherr wohnte, wurde auch die Kirche errichtet. Sie ist eines der ältesten Gotteshäuser im ganzen Hüttenberg, davon zeugen die spätromanischen Fenster des mächtigen Kirchturms, mit dessen Bau in den Jahren 1000 bis 1200 begonnen wurde. Lassen wir einmal den Chronisten der Festschrift zur 800-Jahr-Feier sprechen in seiner Schilderung der Kirche: "Recht alt ist der Turm. Man hat den Eindruck eines Bergfriedes, wenn man die Dicke der Mauern abschätzt, die niedrige, rundbogige Tür betrachtet, die schmalen, wie Schießscharten schräg verlaufenden Durchbrüche im unteren Drittel betrachtet und erkennt, dass die Fenster im Turm so hoch über dem Erdboden sind, dass sie über Leitern herkömmlicher Art und Größe nicht erreicht werden können. Die Möglichkeit, hier den Rest einer Wehrkirche vor uns zu haben, ist durchaus gegeben; einen Beweis für die Richtigkeit der Vermutung können wir jedoch nicht erbringen.-"Der Kirchturm besitzt die Form einer abgestumpften Pyramide. Seine Kanten stehen nicht rechtwinklig auf dem Erdboden, sondern verjüngen sich leicht nach oben. Die Schallfenster sind als Doppelfenster gebaut, sie besitzen eine tragende Mittelsäule und sind spätromanischen Ursprungs. Aus Lungenbasalt sind die Fensterbogen und die Kanten der Turmmauern gebaut. Das sich anschließende Kirchenschiff zeigt an seinem Eingangsportal gotische Merkmale, es ist demnach später entstanden.Schriftliche Überlieferungen aus dem frühen und späteren Mittelalter über Kirch-Göns sind höchst selten. Leider verbrannten alle Akten mit Dokumenten aus ganz Oberhessen, und damit auch unseres Dorfes, bei alliierten Luftangriffen im 2. Weltkrieg auf das Darmstädter Staatsarchiv. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass die Wirren des 30jährigen Krieges auch an Kirch-Göns nicht spurlos vorübergegangen sind, denn seine Lage an einer zentralen Durchgangsstraße war Grund genug für durchziehende Heerscharen, in den Ort einzufallen.Die Ortschronik vermeldet, dass Kirch-Göns im Jahre 1759 von französischen Truppen besetzt war. Dies geschah noch einmal gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und der kommandierende General ließ damals etwa sechs Hektar Wald schlagen. Am 18. Juli 1915 wütete ein Großbrand im Ort, dem 51 Gebäude zum Opfer fiel. 1866, als Preußen gegen Österreich und seine Verbündeten Krieg führte, blieb unser Dorf trotz Einquartierung von Kriegshandlungen verschont. Aber als 1870/71 das Deutsche Kaiserreich Krieg führte gegen die Franzosen, wurden neun Männer zum Waffendienst herangezogen.Das technische Zeitalter hielt Mitte des 19. Jahrhunderts auch in unserer Gegend Einzug. Erstes sichtbares Zeichen war der Bau der Main-Weser-Bahn um das Jahr 1845. Die neue Transporterrungenschaft Eisenbahn mit ihren feurigen Lokomotiven auf eisernen Schienen war den Kirch-Gönsern wohl nicht ganz geheuer, und die Bauern fürchteten auch um ihr gutes Acker- und Wiesenland. Und so kam es, dass die Eisenbahnstrecke nicht, wie ursprünglich geplant, direkt am Ort vorbeilief, sondern in gebührender Entfernung und in eher minderwertigem Gelände. So kamen die Pohl-Gönser leider um ihr eigene Haltestelle.Das erste Schulhaus von Kirch-Göns entstand 1857 in der Hintergasse, aber schon 1892 wurde das Nachfolgegebäude, das heutige Bürgerhaus, eingeweiht. Erst im Jahre 1968 zogen spätere Schüler- und Lehrergenerationen wieder um, als die Mittelpunktschule "Oberer Hüttenberg" am südlichen Rand von Kirch-Göns ihrer Bestimmung übergeben werden konnte.1911 wurde unser Dorf an die Überlandleitung angeschlossen, und das "elektrische Licht" hielt Einzug in die Stuben der Bewohner. Eine Zäsur brachte der 1. Weltkrieg von 1914/18, der im nationalistischen Überschwang begann und mit einer Niederlage endete. 19 Männer unseres Dorfes kehrten von den Schlachtfeldern Europas nicht mehr zurück. Die Weimarer Republik, die erste Demokratie auf deutschem Boden, kam nie zu erhofften politischen Ruhe. Soziale Unruhen gingen auch an Kirch-Göns nicht spurlos vorbei, und die hohe Arbeitslosigkeit und der Geldwertverfall brachte auch den Menschen unseres Dorfes wirtschaftliche Not.Viele Mitbürger sahen in der Hinwendung zum Nationalsozialismus einen Weg, das Überleben zu sichern, gingen aber dabei aber auch den geschickten Parolen der "neuen Herren" auf dem Leim. Anfangs verdeckte noch die nationalsozialistische Arbeitsmarktpolitik, die von Anbeginn an kriegsgerichtet war, die Widersinnigkeit und Menschenfeindlichkeit des ganzen Systems. Aber spätestens die unterdrückenden Andersdenkender und die Vertreibung der jüdischen Mitbürger, auch aus Kirch-Göns, deckten den wahren Charakter des "Tausendjährigen Reiches" auf.1935 begann der Bau des Fliegerhorstes trotz Einsprüche der Gemeindeverwaltung, zu deren Kummer mehrere Hektar Feld- und Waldbestand im Westen der Gemarkung geopfert werden mussten. Während des 2. Weltkrieges waren auf dem Flugplatz Fernaufklärer und Jagdflieger stationiert. 76 Männer, ein Elftel der Gesamtbevölkerung, mussten damals mit ihrem Leben die sinnlose Kriegspolitik Hitlers büßen.An Heilig Abend 1944 griffen alliierte Bomber den Flugplatz an. Trotz starker Abwürfe blieb Kirch-Göns wie durch ein Wunder verschont. Auch die wichtige Bahnlinie war Ziel von Flugzeugangriffen. Noch eine Woche bevor schließlich die siegreichen Amerikaner am 22. März 1945 in den Ort einzogen, wurde der Schienenstrang noch einmal heftig unter Beschuss genommen.Der Untergang des "Dritten Reiches", von den einen als Zusammenbruch, von den anderen als Befreiung empfunden, brachte in der ersten Zeit weitere Not in den Ort. Die Einwohnerzahl stieg ganz erheblich an, denn zu den Kriegsflüchtlingen und Versprengten kamen noch die Heimatvertriebenen hinzu. Laut Statistik hatte Kirch-Göns im Jahre 1938 genau 789 Einwohner. 774 von ihnen waren evangelisch, 3 katholisch und 12 jüdischen Glaubens. 1945 war die Einwohnerzahl auf 1021 gewachsen. 881 Protestanten und 137 Katholiken wurden damals gezählt, dazu 3 Gottgläubige (Zeugen Jehovas), aber keine Juden mehr. 1946 war die Einwohnerzahl bereits auf 1359 und 1950 auf 1425 angewachsen, eine Zahl, die im Jahre 1991 etwa auch erreicht wurde.Die Zeit des "Wirtschaftswunders" führte zu einer regen Bautätigkeit im Ort, die zunächst einmal die Bahnhofstraße wachsen und im Anschluss an die Häuser an die Haltestelle finden ließ. Immer mehr zum Neubaugebiet entwickelte sich der Stautzert jenseits der Bahn. Und aus dem einstigen "Flachdachhausen", wie die angestammten Kirch-Gönser die Flüchtlingssiedlung in der Gambacher Straße nannten, wurde nach und nach eine schmucke Wohnsiedlung unterhalb des Schneidwaldes.Der Bau der Umgehungsstraße anfangs der sechziger Jahre entlastete unseren Ort ganz erheblich vom Durchgangsverkehr zwischen Gießen, Butzbach, Friedberg und Frankfurt. Die amerikanische Ayers-Kaserne, 1952 auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Flugplatzes errichtet, entwickelte sich zum Hauptgeldgeber für die örtliche Gemeindekasse, deren finanzielle Struktur dadurch immer recht gesund war. Mit einer Garnisonsstärke von 4000 und mehr US-Soldaten war die Ayers-Kaserne immer einer der wichtigsten Militärstandorts Hessen.In den fünfziger und sechziger Jahren entwickelte sich in Kirch-Göns dank der Amerikaner auch ein recht floriendes Gaststättenwesen, das für eine mittelhessische Landgemeinde aber eher untypisch war. Die Kaserne selbst war wichtigster Arbeitgeber am Ort, und Besuche hochrangiger Politiker, wie US-Präsindet Gerald Ford im Sommer 1975, oder Bundespräsident Richard von Weizäcker im Frühjahr 1991, rückten und rücken Kirch-Göns, wenigstens kurzzeitig, in das Interesse der Medienöffentlichkeit.Die selbstständige Gemeinde mit ihrem langjährigen Bürgermeister Reinhard Hanack, der auch dem TV Kirch-Göns Jahrzehente vorstand, baute in den Jahren 1956 und 1957 zusammen mit der Nachbargemeinde Pohl-Göns eine gemeinsame Wasserversorgung auf. Im November 1969 konnte der Kindergarten seiner Bestimmung übergeben werden, und 1970 die zum Bürger- und Feuerwehrgerätehaus umgestaltete alte Schule.Die Tage von Kirch-Göns als selbstständige Gemeinde waren damals schon gezählt. Die hessische Gebietsreform, die ihre Schatten langsam aber unerbittlich vorauswarf, führte dazu, dass Kirch-Göns zum 1. August 1972 als nördlichster Stadtteil Butzbachs eingemeindet wurde. Der bei etlichen Mitbürgern gehegte Wunsch, doch noch selbstständig bleiben zu können, zerplatzte letztlich wie eine Seifenblase. Und obwohl sich eine turbulent verlaufende Bürgerversammlung noch mehrheitlich gegen das Zusammengehen mit Butzbach aussprach, konnte der Gang der Dinge nicht mehr aufgehalten werden.Immerhin muss gesagt werden, dass die Eingemeindung auch ihre Vorteile gebracht hat, dass wichtige Maßnahmen der Daseinsvorsorge in Angriff genommen werden konnten, auch wenn manchen Kirch-Gönsern die politisch-praktische Umsetzung von Investitionsvorhaben, zu erinnern ist an die gemeinsame Mehrzweckhalle zwischen Kirch- und Pohl-Göns, ein wenig zu lange dauerte. Die bislang getätigten größeren Projekte, wie der Bau der Main-Weser-Brücke 1972, oder die Erweiterung der Friedhofshalle 1984, liegen schon längere Zeit zurück und Lobenswert war die Initiative des eigens gegründeten Heimat- und Backhausvereins, der nach mehr als 2000 Stunden Eigenleistung Ende Oktober 1980 das vor dem Verfall bewahrte Backhaus im Ortsmittelpunkt mit einem fortan regelmäßig gefeierten Trachtentanz- und Backhaus-Fest wieder in Betrieb nehmen konnte.Das Engagement in den Ortsvereinen führte auch noch zu weiteren wichtigen Bauten. Nicht unerheblich waren beispielsweise die Anstrengungen des Schützenvereins beim Bau seiner vereinseigenen Schützenhalle am Bahnhof, die mittlerer weile aus dem dörflichen Geschehen ebenso nicht mehr wegzudenken ist, wie etwa die Zuchtanlage des Kleintierzuchtsvereins. das im 100sten-Jubiläumsjahr des Turnvereins fertiggestellte und seiner Bestimmung übergebene Sportlerheim in der Bahnhofstraße und der Neubau der Mehrzweckhalle Kirch-/Pohl-Göns.Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für ihren jeweiligen Verein, für nicht wenige sind es gleich mehrere Vereine zugleich, ist unserem Dorf trotz der bekannten Verlockungen und Zerstreuungsangebote der sogenannten "Freizeit- und Konsumgesellschaft" das gesellig-gesellschaftliche Leben noch in Ordnung. |